Was Deutschland im Kühlschrank hat: Haßloch verrät's

„Beep, beep“, die Kasse eines Supermarkts in Haßloch quittiert scheinbar harmlos alle Produkte, die über den Scanner gehen. Doch diese Daten dienen nicht allein zum Ausdruck des Kassenzettels, sondern werden blitzschnell über eine Datenleitung einige Kilometer weitergeleitet. Und das ist das Ungewöhnliche an Haßloch: In dieser 20.000-Einwohner-Stadt sind nahezu alle Drogerien und Supermärkte mit den Computern des Marktforschungsinstituts GfK (Gesellschaft für Konsumforschung) vernetzt. Parallel dazu wurden 3.000 Haßlocher Bürger repräsentativ ausgewählt und entscheiden über Wohl und Wehe zukünftiger Produkte auf dem deutschen Konsumgütermarkt. Egal ob Waschmittel, Weichspüler oder Tütensuppe – in Haßloch lassen sich Neuprodukte auf ihre Akzeptanz bei den Käufern testen.

Dazu platzieren die Hersteller schon seit 1985 immer wieder einige Produktmuster in den Supermarktregalen. Zwischen all den „herkömmlichen“ Marken fallen die wenigen Testprodukte kaum auf. Und den Haßlochern erst recht nicht, denn ihnen werden die Innovationen so verkauft, als gäbe es sie bereits regulär im Handel. Dafür sorgt ein kleines Sendestudio der GfK am Stadtrand, mit dessen Hilfe Werbeblöcke auf ARD, ZDF & Co. fingiert werden können. Um bei-spielsweise zu testen, ob ein neuer Spot für Dr. Oetker gut ankommt, wird einfach ein Stückchen normale TV-Werbung herausgeschnitten und durch den neuen Dr. Oetker-Spot ersetzt.

Niemand bemerkt die Manipulationen – bis auf die Marktforscher der GfK, wenn in den nächsten Wochen in Haßloch auffällig viele Pizzen von Dr. Oetker gekauft werden.

Die GfK manipuliert sogar die Fernsehzeitschrift „Hörzu“ speziell für das Testmarktgebiet. Jede Woche wird eine kleine Auflage nachgedruckt, in der Werbeanzeigen für Neuprodukte zu sehen sind, die es nur in Haßlocher Supermärkten gibt.

Die meisten Haßlocher wollen wahrscheinlich gar nicht so genau wissen, was die Marktforscher aus Nürnberg alles mit ihren Datenmassen ermitteln können. Die Konsumenten legen bei jedem Einkauf nur eine weiße Kundenkarte vor, was für die Haßlocher so selbstverständlich ist wie für andere Menschen Paybackkarten. Doch die Prämien fürs Mitmachen fallen sehr viel geringer als bei Payback & Co. Nur die „Hörzu“ oder eine regionale Tageszeitung (natürlich ebenfalls manipuliert) gibt es als Gratisgeschenk. Ein paar Euro fließen außerdem als Zuschuss für den Kabelanschluss. Einen größeren Anreiz gibt es nicht – denn die GfK will ihre Testkäufer so wenig wie möglich im Kaufverhalten beeinflussen.

Fast jeder dritte Haushalt des Dorfes (insgesamt rund 3.000 Personen) ist bei der GfK registriert und bildet damit einen repräsentativen Durchschnitt Deutschlands ab. Die Marktforscher und Hersteller freut’s, denn sie können unter sehr realen Bedingungen den Erfolg von Produktneuheiten testen. Ein mehrmonatiger Testlauf inklusive Anzeigenschaltung und TV-Manipulation kostet zwar eine sechsstellige Summe, ist aber immer noch billiger, als mit dem Produkt gleich in ganz Deutschland einen Flop zu landen.

Wer also schon immer mal wissen wollte, was uns künftig an neuen Schokoriegeln oder Shampoos erwartet, sollte Haßloch einen Besuch abstatten und bewusst die Supermarktregale beäugen. Bestimmt findet sich dort manch eine Produktinnovation, die sich anschließend bei eBay Gewinn bringend versteigern lässt. Das ist übrigens vollkommen legal: Auch jedes größere Unternehmen schickt seine Außendienstmitarbeiter regelmäßig nach Haßloch, um sie dort nach Neuprodukten der Konkurrenz fahnden zu lassen. Denn das ist der einzige Nachteil des öffentlichen Dorfes gegenüber Produkttests in abgeschotteten Versuchslaboren: Wettbewerber können die Innovationen in einer frühen Phase entdecken und nachahmen.

Und wer nicht in der Pfalz wohnt, findet ähnliche Testgebiete des Marktforschungsunternehmens A. C. Nielsen in Buxtehude sowie Bad Kreuznach.


Veröffentlicht am: 2007-04-30 18:43:12